Das macht unruhig
Eva Jaeggi ist über 80 – das Interview hat sie per Skype geführt. Florentina verrät die Entwicklungspsychologin was bei Identitätskrisen hilft.
Frau Professor Jaeggi, Sie haben angeboten, das Interview per Skype zu führen. Es fällt Ihnen anscheinend leicht, sich auf neue technische und soziale Situationen einzustellen.
Immer von der Not getrieben. Meine Familie ist derzeit in Amerika, da habe ich gedacht: „Naja, dann muss ich ja wohl.“ Aber ich finde skypen nicht so angenehm, weil man da immer so hässlich aussieht. Immer muss ich schauen, ob meine Haare auch richtig sitzen. Generell denke ich aber über die modernen technischen Mittel: Letztendlich ist das alles kein Kunststück. Als ich beispielsweise meinen Laptop bekommen habe, war das anfangs eine komplett neue Welt für mich. Nach etwa drei Stunden habe ich dann begriffen, was das für ein Geschenk ist. Mir wurde alles gezeigt und ich dachte: Das ist mein Instrument!
Was sagen Sie als Expertin für Entwicklungspsychologie: Wie wird man, wer man ist?
Das, was man „Identität“ nennt, setzt sich aus ganz unterschiedlichen Quellen zusammen. Da gibt es natürlich die ganze Kindheit und Jugend, während der einem von Eltern, Lehrern oder Geschwistern immer wieder bestimmte Dinge zugeschrieben werden. Und auch später, etwa im Berufsleben geht das so weiter. Einem wird also das ganze Leben von anderen vorgegeben, wie man wirkt – das sind gesellschaftliche Zuschreibungen. Ganz verschiedene Faktoren verbinden sich so zu einem Bild einer Person, das allerdings sehr unsicher ist. Die wenigsten Menschen können ganz sicher von sich sagen: „Ich bin so und so.“
Kommt denn nicht irgendwann auch ein Zeitpunkt, an dem man sagen kann: Ich habe meine Identität gebildet und bin jetzt fertig?
Nein, ich denke, Identität ist ein dynamischer Prozess, der sich immer ändern kann. In jeder Lebensphase sagt einem auch die Gesellschaft immer wieder etwas anderes. „Du bist jetzt alt, du bist nicht mehr zur Arbeit zu gebrauchen!“, so ein Urteil etwa kann die Identität eines arbeitstüchtigen Menschen auch spät im Leben noch verändern.
Hat die Nutzung von Facebook und anderen sozialen Netzwerken Auswirkungen auf unsere Identität?
Ich denke, dass sie in der Identitätsbildung immer wichtiger werden, da sich die Menschen immer mehr von dem dauernden Feedback beeinflussen lassen. Dieses permanente Draufgucken – Wie kommen Äußerungen von mir an? Was sagen die anderen? Bekomme ich die berühmten Likes oder nicht? – ist ein aufgeregter Prozess. Ich glaube, das ist für viele Menschen eher irritierend als beruhigend.
Sie bewerten die Nutzung von Facebook und Co. also eher als negativ für die Identitätsbildung?
Ich sehe Facebook sehr kritisch. Junge Leute erzählen mir immer wieder, dass sie eigentlich permanent in Unruhe sind, weil sie immer wieder dort reingucken müssen. Dabei sind sie in Bezug auf ihre Identität ja noch unsicher und sollten deshalb nicht Tag für Tag ausprobieren, ob sie und ihre diversen Meinungen und Gewohnheiten auch anerkannt werden oder nicht. Das irritiert ungeheuer und lässt keine Stabilität aufkommen. Identitätsbildung geht langsam vonstatten, braucht vertraute Personen und nicht 100 Facebook-Freunde. Insofern sind die sozialen Medien total störend für die Entwicklung und ich würde Kindern verbieten, auf Facebook zu gehen. Eine gefestigtere Persönlichkeit kann das aber natürlich beherrschen. Man ist ja nicht ausgeliefert und muss ununterbrochen sein Handy bei sich tragen oder vor dem PC sitzen.
Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die so eine Unruhe verspüren?
Handy abschalten und nur zu bestimmten Zeiten benutzen.
Wie wichtig ist denn die Pubertät für die Identitätsbildung?
Die Pubertät ist eine der wichtigsten Schwellen in der Persönlichkeitsentwicklung, wobei die Veränderung sehr rasch vonstatten gehen können. Das überfordert viele Jugendliche und sie wissen gar nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Es gibt in vielen Pubertätsverläufen große Turbulenzen. Und da kann sich unter Umständen bei einem friedlichen, glücklichen Kind ein recht problematischer Erwachsener herausbilden – oder umgekehrt.
Gibt es bei der Identität auch Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen?
Ja, es gibt natürlich die spezifisch weiblichen und männlichen Fragen. Was ich als Frau oder Mann wert bin, das hängt ganz stark von den in einer Gesellschaft vorherrschenden Rollenbildern ab. Für Frauen ist vor allem die Frage wichtig: „Sehe ich attraktiv aus?“ Man will ja von Männern akzeptiert werden. Bei denen sind ganz andere Qualitäten gefragt; sie setzen hauptsächlich auf ihre körperlichen Fähigkeiten. Unter Einsatz ihrer Kraft und Energie wetteifern sie darum, wer ist der Beste ist.
Denken Sie, dass junge Menschen es heutzutage im Vergleich zu früher leichter oder schwerer haben, herauszufinden, wer sie sind?
Schwer zu sagen, es gibt heute einfach andere Probleme. Früher, als Frauen sehr jung verheiratet wurden und noch vor ihrem 20. Lebensjahr Kinder bekamen, hatten sie gar nicht so einfache Lebensschicksale. Da musste man schon innere Standhaftigkeit haben. Ich möchte als Frau eigentlich nur im 21. Jahrhundert leben.
Was oder wen brauchen junge Menschen, um bei der Identitätsfindung genug Stabilität zu haben beziehungsweise um sich nicht in die „falsche“ Richtung zu entwickeln?
Stabile Bezugspersonen in der Kindheit, das Gefühl respektiert zu werden und das allgemeine Gefühl: So wie ich bin, das ist schon in Ordnung. – Das sind wichtige Stützpfeiler einer gefestigten Person. Aber man muss dazu sagen, dass es auch aus sehr schwierigen Verhältnissen kommende Menschen gibt, die trotzdem eine sehr gute Entwicklung nehmen. Solche Personen sind im Stande, jeden noch so kleinen Rettungsanker zu ergreifen. Das sind sogenannte Glückskinder. Ich hatte einmal eine Patientin aus miserablen Verhältnissen, die sich wunderbar herausentwickelt hat, weil sich eine Bibliothekarin ihrer angenommen hat. Sie hat ihr immer mehr Bücher gegeben. Das hat dazu geführt, dass das Mädchen immer mehr gelesen und sich in der Schule verbessert hat.
Welche Erlebnisse waren denn für Sie persönlich prägend für die Identitätsfindung?
Ich habe eine sehr verehrte Lehrerin gehabt. Sie war die erste wirklich intellektuelle Frau in meinem Leben, die mir die Bedeutung von klugen Fragen gezeigt hat. Das hat auf mich schon sehr großen Eindruck gemacht. Natürlich haben mich auch einige Freunde und Freundinnen geprägt und ganz sicher meine sehr liebevolle Mutter. Sie hat mir zweifelsohne immer vermittelt, dass ich schon richtig bin.
Über Prof. Dr. Eva Jaeggi:
Eva Jaeggi wurde 1934 in Wien geboren, studierte Psychologie und absolvierte zusätzlich eine Ausbildung in Verhaltstherapie. Danach leitete sie die psychologische Beratungsstelle an der Universität in Bochum, bis 2000 unterrichtete sie an der Technischen Universität in Berlin. 2014 veröffentlichte sie ein Buch zum Thema Identität mit dem Titel: „Wer ich bin? Frag doch die anderen. Wie Identität entsteht“. Heute hat die 81-Jährige an der Berliner Akademie für Psychotherapie (BAP) die Leitung für den Fachbereich tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie inne.
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