Ich bin nicht perfekt
Eine Instagramerin verkündet weinend ihren Ausstieg aus der Scheinwelt und der Social Media Planet bebt. Bloggerin Madeleine von DariaDaria hat die Debatte um Filter-Fakes zum Anlass für ein ganz besonderes Fasten genommen und Lara von ihren Erfahrungen berichtet.
Nicht alles wahres Gold, was glänzt
Dass wir auf sozialen Plattformen ein wenig mogeln, wenn es um unsere Selbstdarstellung geht, ist menschlich. Doch gerade auf Blogs, YouTube und bei Instagram wird immer wieder aufgedeckt, wie viel Werbung in Form von sogenannten Product Placements sich in den vermeintlich persönlichen Empfehlungen der Social-Media-Stars versteckt. Sie werden teuer dafür bezahlt, Marken zu nennen, Produkte scheinbar alltäglich zu „nutzen“ und ihre getragenen Kleidungsstücke auf Fotos direkt zum Shop zu verlinken. Doch auch jenseits dieser geschäftlichen Komponente ist nicht alles wahres Gold, was glänzt. Wer schon einmal sein eigenes Essen mit den Speisen in seinem Newsfeed verglichen hat, weiß: Bis Messer und Gabel richtig liegen, die Falte im Tischtuch begradigt und der Spritzer am Tellerrand beseitigt sind, vergehen Minuten. Mit der Wahrheit hat das wenig zu tun.
"I’m quitting social media for my 12 year old self"
Wer diese Zeit in sein Mittagessen und sein bestes Selfieface investiert, dem winken jedoch Ruhm, Geld und die Bewunderung tausender Follower. Im Falle des australischen It-Girls Essena O’Neill mischten sich unter diese Reize noch eine große Portion jugendliche Unsicherheit und der Neid auf ihre Social-Media-Vorbilder. Sieben Jahre nach ihrem Eintritt in diese Welt des Scheins – O’Neill war damals erst zwölf Jahre alt – macht sie Schluss mit ihrer Jagd auf Follower und Likes und bekennt: Social media is not real life. Sie unterfüttert diese scheinbar offensichtliche Tatsache mit nachträglich bearbeiteten Bildunterschriften ihres Instagramaccounts, in denen sie die wahren Begebenheiten der vermeidlichen Schnappschüsse darlegt. Anschließend wird der Account auf „privat“ gestellt und ihr enorm erfolgreicher YouTube-Kanal gelöscht. In einem Erklärungsvideo erzählt sie von dem Traum ihres Zwölfjährigen Ichs, durch Popularität in sozialen Medien glücklich zu werden und sich so auch selbst zu akzeptieren. Sieben Jahre und etliche Kooperationen später gesteht sie sich unter Tränen ein, dass der Inszenierungswahnsinn sie keinesfalls glücklich, sondern sogar depressiv gemacht habe.
Filterfasten mit Dariadaria
Auf sozialen Medien gegen die Gesetze eben jener kämpfen – O‘Neills Vorgehen wurde online ruck zuck kritisiert, zumal sie im gleichen Zuge auf ihre neue Internetseite aufmerksam machte und nun ein Buch veröffentlichen will. Möge man von der Aktion O’Neills halten, was man will: Reaktionen hat sie alle Mal hervor gerufen. Nahezu jeder Fashion- oder Lifestyleblogger äußerste sich anschließend zum Thema Authentizität im Netz. Die Österreicherin Madeleine beispielsweise, die mit ihrem Blog DariaDaria sehr erfolgreich ist, antwortet mit einem Hashtag auf die meterhohe Welle, die O’Neills Austritt entfachte: #truthfullydariadaria. Eine Woche lang postet sie auf Instagram die, im wahrsten Sinne des Wortes, ungeschminkte Wahrheit über sich und ihr Leben. Plötzlich erscheinen Augenringe, unansehnliches Mittagessen und unordentliche Kleiderständer im Instagramquadrat. Ohne Filter, versteht sich. „Natürlich musste ich bei der Aktion einige Hemmungen überwinden, im Großen und Ganzen ist es mir aber nicht schwer gefallen“, sagt die Vollzeitbloggerin über ihre Aktion. Auf ihrem Blog lässt sie sich ebenfalls ausführlich zu dem Thema aus und stellt plakativ ihre eigenen Bilder gegenüber – ein mutiger Schritt für die 26-Jährige. Als Leser schluckt man nämlich schon aufgrund des Direktvergleichs und wird sich abermals bewusst: Ja, soziale Medien haben verdammt wenig mit der Realität zu tun. Aber ist das schlimm? Wollen wir die Wahrheit überhaupt sehen? Ist es befreiend, dass Blogger auch mal unansehnliche Suppe schlürfen, anstatt sich nur von honigbeträufeltem Joghurt mit frischen Beeren zu ernähren? Oder mögen wir das Ästhetische doch lieber als die Wahrheit? Ist es schön, zu wissen, dass Blogger doch keine kleinen Wunderwichtel haben, die sie morgens schminken, sondern dass auch sie mal müde und nur mit Filter gut aussehen? Bringt O’Neills dramatischer Austritt damit die Online-Community ein Stück zusammen und der Wahrheit einen Schritt näher?
Der Rubel rollt weiterhin
Eins ist sicher: Die Firmen, die ihre Produkte durch Social Influencer „natürlich“ in Szene setzen möchten, sind nicht sehr erfreut über das neue Bewusstsein, dass O’Neill zu verbreiten versucht. Product Placement ist eine einfache, moderne und vergleichsweise kostengünstige Werbemaßnahme, mit der die Jugend perfekt angebrochen wird. „Geldgeber und Sponsoren haben meine Aktion weder kommentiert, noch hat es meine Arbeit beeinflusst“, widerspricht Madelaine von DariaDaria. Die Regel wäre das wohl aber nicht: Zum Einen war #truthfullydariadaria nur ein kurzes Experiment mit absehbarem Ende, zum Anderen gilt Madelaine ohne hin als äußerst authentische und ökologisch sowie sozial engagierte Bloggerin, die vegane Schminke verwendet und in Wien ehrenamtlich Suppe austeilt. Trotzdem habe die Aktion ihr Verhältnis zu ihren Lesern verändert: „Vielen ist nun klar geworden, dass ich eine stinknormale Frau mit stinknormalen Problemen bin.“
Einfach das Schöne einfangen
Wie es mit jedem Trends ist, fand auch O’Neills Aufruf ein schnelles Ende. Schon nach wenigen Tagen dominiert ästhetische Perfektion wieder jeden Stream. Blogger und Vlogger veröffentlichen wieder finanzierte Liebeserklärungen an Produkte und verleiten so zum Kauf. War O’Neill also nur eine kurz-währende Erinnerung an den #fake, der online herrscht? Angela von AngelaDoe äußert auf Instagram eine schöne Alternatividee zur gnadenlosen Ehrlichkeit: „Ich finde, es ist nicht unbedingt notwendig, seinen gesamten Instagram-Account umzukrempeln und unschöne Snapshots zu posten, nur um „echt“ zu sein. Lieber echte, schöne Dinge fotografieren.“ Das ist doch mal eine Idee!
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