Quelle: pexels: Retha Ferguson
#grenzwertig

"Frei verfügbar?"

Quelle: privat

Gesine, 25 Jahre

Gemeinsam gegen Rollenverteilung und Gewalt

„Kein Wunder, dass sie angegrabscht wurde, bei dem Outfit…“ Unerwünschte sexuelle Anspielungen, ungewollte Berührungen oder im schlimmsten Fall eine Vergewaltigung – sexuelle Gewalt hat viele Facetten. Was die verschiedenen Taten verbindet und warum das Äußere nie Übergriffe rechtfertigt, erfährst du hier.

Otis versucht, seine Freundin Lilia auf der Straße zu küssen. Sie dreht mehrmals ihren Kopf weg, weil sie gerade nicht möchte. Er tut es trotzdem, indem er Lilias Kopf festhält. Auch wenn es hart klingt: Das ist sexuelle Gewalt. Egal ob Otis und Lilia ein Paar sind oder nicht. Wie auch in diesem Fall ist sexuelle Gewalt immer eine Grenzüberschreitung mit einem sexuellen Bezug. Sexuelle Gewalt ist nicht gleich Vergewaltigung. Sie kann sich verbal zeigen, also durch Kommentare zum Aussehen oder zur sexuellen Identität und durch körperliche Grenzüberschreitung wie Angrabschen oder eben unerwünschte Küsse. Sie kann auch im Internet stattfinden, durch Kommentare oder das unerwünschte Verschicken von intimen Bildern. Vor allem Mädchen und Frauen erleben sexuelle Gewalt, während meist Jungen und Männer sie ausüben.

Gesellschaftliche Erwartungen an Jungen und Mädchen

Jahrhundertelang waren Frauen nur als Mütter und Ehefrauen wichtig. Sie durften nicht wählen, nur mit Erlaubnis ihres Mannes einen Beruf ausüben und konnten sich nicht scheiden lassen. Diese Umstände machten Frauen abhängig. Auch im Sexualleben hatten Frauen kein Mitspracherecht: Sie waren zum Kinderkriegen da und sollten die sexuellen Bedürfnisse ihrer Ehemänner befriedigen – bis 1997 galt in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftat!

Obwohl sich Frauen seit über 100 Jahren immer mehr Rechte erkämpfen, betrachten viele Menschen Frauen noch als weniger wert und abhängig vom Mann. Das betrifft auch Sexualität: Es gilt als normal, dass Jungen sich in der Pubertät für Sexualität interessieren. Dass sie plötzlich einen Ständer kriegen, masturbieren und Lust auf Sex haben wird toleriert. Mädchen hingegen gesteht man weniger zu, dass sie Lust auf Sex haben und masturbieren. Während männliche Sexualität als normal, triebgesteuert und aktiv gilt, betrachtet man weibliche Sexualität oft als Ergänzung zur männlichen, und dadurch als weniger ausgeprägt und passiv.

Dass weibliche Sexualität genauso stark und die Geschlechtsteile Vulva und Vagina nicht nur für eine Schwangerschaft, sondern auch für sexuelle Befriedigung da sind, ist selten Thema. Obwohl mittlerweile Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist, gelten Frauen und Mädchen in heterosexuellen Beziehungen oft als „frei verfügbar“ für ihren Freund oder Mann. Sexuelle Gewalt geht oft von aktuellen oder Ex-Partner*innen aus und auch sonst kennen sich häufig Täter*in und Opfer – anders als in Filmen, Büchern oder sogar Zeitungen dargestellt.

Nein heißt Nein

Selbst wenn Frauen oder Mädchen Nein zum sexuell offensiven Verhalten von Männern und Jungen sagen, wird das häufig nicht so akzeptiert. Wer kennt nicht den Spruch: „Die tut doch nur so, weil sie überzeugt werden will.“ Als ob man Frauen ja nur „überreden“ müsse. Oder es heißt, Frauen wüssten nicht richtig, was sie wollen – deshalb sei es okay, wenn der Mann für sie entscheide – auch sexuell. Dabei bedeutet Nein in jedem Fall Nein. Das „Überreden“ oder „Durchsetzen“ ist eine Form von Gewalt, wird aber oft nicht so verstanden – von der Gesellschaft nicht, und dadurch auch oft nicht von den Täter*innen oder den Opfern.

Das liegt unter anderem daran, dass uns die weibliche Sexualität eben als passiv vermittelt wird. Zeigen Frauen und Mädchen also angeblich weniger Eigeninitiative, „muss“ der Mann oder Junge seine Ideen und Wünsche durchsetzen, sonst würde ja nichts passieren. Frauen und Mädchen sind aber nicht passiver. Sie lernen nur häufig nicht, dass ihre Sexualität und ihre Wünsche genauso wichtig sind und wie sie diese ausdrücken können. Wir haben es mit Rollenbildern zu tun, die in den Medien zum Teil immer noch vermittelt werden: Zeitschriften geben etwa Tipps, wie Mädchen attraktiver wirken und welche Sexpraktiken toll für den Partner sind – aber was ist denn toll für sie?!

Sexualität ist keine Einbahnstraße

Mädchen und Frauen sind oft auch Objekte von männlichen Wünschen und Vorstellungen. Besonders deutlich ist das in der Musikbranche: Männer singen oder rappen oft über Frauen und darüber, was sie gern alles mit einer Frau machen würden. Hier ist die Frau nur Mittel zur Befriedigung. Das bedeutet, ihre eigenen Wünsche, Erwartungen und Erfahrungen werden völlig ausgeblendet.

Ein Beispiel: das Lied „Whistle“ von Flo Rida

Der Song handelt davon, wie ihm eine Frau einen Blowjob gibt: „Can you blow my whistle, baby, whistle, baby? Let me know Girl, I’m gonna show you how to do it and we start real slow. You just put your lips together and you come real close”. Obwohl mit dem albernen Wortspiel „blow my whistle“ schlecht getarnt, ist klar, was er will. Wodurch die Frau befriedigt wird, oder ob sie ihm überhaupt einen blasen möchte, ist ihm egal. Stattdessen wird die Frau angeleitet und Sexualität somit zu einer Einbahnstraße, die nur männliche Begierden erfüllen soll.

Männerbilder und Machtmissbrauch

Männlichkeit wird oft gleichgesetzt mit Stärke und Unabhängigkeit. Zu diesem Bild passt nicht der einfühlsame Junge oder der rücksichtsvolle Mann. Jungen lernen oft, ihre Interessen durchzusetzen, statt zuzuhören. Das gilt auch für Beziehungen und Sex. Sexuelle Gewalt ist häufig ein Machtmissbrauch – das Vertrauen oder die Schutzlosigkeit des Gegenübers werden ausgenutzt. Nehmen wir als Beispiel wieder die einjährige Beziehung von Otis und Lilia, beide 16. Für Lilia ist es die erste. Beide möchten gern miteinander schlafen, aber Lilia ist zögerlich. Sie weiß, dass viele Mädchen beim ersten Mal Schmerzen haben, und hat Angst davor. Als sie sagt, dass sie lieber noch warten möchte, ist Otis genervt. Er meint, sie sei langweilig und seine letzte Freundin hatte auch keine Schmerzen beim ersten Mal. Nach einigem hin und her stimmt Lilia zu, obwohl sie sich unsicher fühlt. Sie fürchtet, dass Otis mit ihr Schluss macht, wenn er nicht „bekommt, was er will“. Trotz Otis Versicherung tut ihr das erste Mal weh.

Obwohl Lilia letztlich dem Sex zustimmt, ist der Druck eine Form von Gewalt. Lilia konnte nicht in Ruhe entscheiden, was sie will, sondern das mögliche Verlassenwerden hat sie unter Druck gesetzt. Otis konnte außerdem nicht sicher wissen, ob Lilia Schmerzen haben würde, hat aber seinen Erfahrungsvorsprung genutzt, um sie glauben zu lassen, dass alles ganz easy ist. Warum? Wie befriedigend ist Sex, wenn die andere Person Schmerzen hat und sich unwohl fühlt? Entweder waren Otis Lilias Schmerzen egal oder weniger wichtig als seine Lust. Oder seine Macht über Lilia, als sie seinem Drängen nachgibt, war für ihn befriedigend. Dass er sich durchsetzt, bestätigt die Rolle, die er der Gesellschaft zufolge haben sollte: die des starken, wenig emotionalen Mannes.

Keine Schuld den Opfern!

Bei sexueller Belästigung und Gewalt in all ihren Facetten geht es oft vor allem um die Erniedrigung des Gegenübers, durch die sich der*die Täter*in mächtiger und überlegen fühlt. Selbst wenn Täter*innen einfach nur keinen anderen Weg wissen, ihr Begehren auszudrücken, ist das falsch und keine Rechtfertigung!

Statt zu fragen, was der*die Täter*in erreichen wollte und warum er*sie nicht aufgehört hat, muss oft das Opfer erklären, wie es zu der Situation kam. Dadurch fällt es den Opfern etwa aus Scham oder Angst vor den Reaktionen schwer, über das Erlebte zu reden. „Hast du wirklich deutlich genug nein gesagt? Deine Hose war ja schon sehr kurz, das provoziert“, sind Sätze, die die Betroffenen sich dann anhören müssen. Als ob Kleidung oder ein bestimmtes Verhalten eine Einladung oder Rechtfertigung für Belästigung oder Schlimmeres wären. Sie sind einfach nur schlechte Erklärungsversuche für gesellschaftliche Missstände und die Gewalt der Täter*innen!

Quelle: pexels: Cottonbro
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Grenzen in Regenbogenfarben

Quelle: Lou Antoinette Godvliet

Lou, 26 Jahre

Sexuelle Grenzverletzungen treffen häufig Minderheiten – darunter auch die LGBT+ Community. Wie gehen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sowie für Menschen mit sexuellen Orientierungen oder geschlechtlichen Identitäten, die sich mit diesen Bezeichnungen nur unzureichend identifizieren können mit den Grenzverletzungen um, mit denen sie konfrontiert werden? Wie könnten wir diese in Zukunft sogar verhindern?

Stell dir vor, du gehst mit ein paar Freunden ins Kino und ein paar Reihen vor euch sitzt ein gleichgeschlechtliches Paar. Als die beiden sich während des Films unauffällig küssen, werden sie plötzlich von ein paar anderen Kinogästen dafür ausgebuht und mit Popcorn beworfen. Die beiden fühlen sich so bloßgestellt, dass sie noch vor Ende des Films den Kinosaal verlassen, um weiteren sexuellen Grenzverletzungen aus dem Weg zu gehen.

Solche Situationen kommen leider täglich vor und betreffen vor allem Minderheiten. Eine davon ist die LGBT+ Community, die seit ein paar Jahren immer mehr Anerkennung gewinnt und weiterhin für ihre Rechte kämpft.

Was steckt hinter dem Begriff LGBT+?

LGBT bedeutet „Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender“, das Plus steht für weitere Spielarten von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten gemeint, die von der Norm abweichen. Das bedeutet, dass sie nicht Teil der heterosexuellen Mehrheit sind, die in dem Fall als Norm bezeichnet wird. Außerdem sind sie nicht an das binäre („zweiteilige“) Modell des männlichen und weiblichen Geschlechts gebunden. Unter den Begriff LGBT+ fallen beispielsweise:

  • Homosexualität (Lesben, Schwule),
  • Bisexualität (sexuelles Interesse an Männern und Frauen),
  • Transgender (die Geschlechtsidentität, also das „gefühlte“ Geschlecht, stimmt nicht mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen überein)

Grundsätzlich wird also zwischen der geschlechtlichen Identität (also welchem Geschlecht man sich selbst zuordnet) und der sexuellen Orientierung (zu welchem Geschlecht man sich hingezogen fühlt) unterschieden. Zur geschlechtlichen Identität zählen männlich, weiblich und Intersex (keine eindeutige Zuordnung)

Unsere sexuelle Orientierung hat natürlich auch Einfluss auf unsere Grenzen, da sie bestimmt, zu wem wir uns überhaupt hingezogen fühlen. Ob das nun dasselbe Geschlecht ist, dem man sich auch zuordnet (= homosexuell), das jeweils andere biologische Geschlecht (= heterosexuell) oder beide Geschlechter (= bisexuell). Darüber hinaus gibt es zum Beispiel noch Asexualtität, also die Abwesenheit jeglichen sexuellen Verlangens, sowie Pansexualität, wobei man sich vor allem vom Charakter einer Person (unabhängig vom Geschlecht) auch sexuell hingezogen fühlt. Die Regenbogenflagge ist ein Hauptsymbol der LGBT+ Community. Wenn ihr genaueres zu diesem Thema wissen wollt, könnt ihr das hier nachlesen.

Sexuelle Grenzverletzungen in der LGBT+ Community

Leider sind Mitglieder dieser Community häufiger von sexuellen Grenzverletzungen betroffen. So werden beispielsweise Trans* (Geschlechtsidentität weicht vom biologischen Geschlecht ab) und intergeschlechtliche („geschlechtlich uneindeutige“ körperliche Merkmale die angeboren sein können) sowie homosexuelle Männer überdurchschnittlich oft sexuell belästigt. Das Unwissen, Unverständnis und die sexuelle Gewalt, denen transsexuelle Jugendliche oft begegnen, erhöhen das Selbstmordrisiko erheblich.

Die Diskriminierung von LGBT+ Jugendlichen findet sowohl in der Schule, als auch in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz statt. Die Formen der Diskriminierung reichen dabei von Beschimpfungen (55%) über Ausgrenzung und Outing gegen den eigenen Willen (34 bzw. 26%) bis hin zu Zerstörung von Eigentum und körperlicher Gewalt (12 bzw. 10%). In der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel im Club oder im Schwimmbad, gehen diese sexuellen Grenzverletzungen hauptsächlich von fremden Personen aus (Coming Out Studie des Deutschen Jugendinstituts von 2017).

Wie gehen die Jugendlichen der LGBT+ Community damit um?

Jeder Mensch geht natürlich anders mit einer sexuellen Grenzverletzung um. Die Jugendlichen der LGBT+ Community verwenden dazu jedoch laut Coming Out Studie zwei Strategien besonders häufig:

Die Betroffenen gehen allen Situationen, die zu negativen Erfahrungen führen könnten, aus dem Weg. Das führt dann beispielsweise dazu, dass sich diese Jugendlichen nicht mehr abends mit ihren Freunden in den Club trauen oder das Schwimmbad meiden. Dabei handelt es sich um einen Schutzmechanismus, der in Extremfällen auch schnell zur Isolation führen kann. Die Jugendlichen behalten ihre sexuellen Erfahrungen auch eher für sich, was den Leidensdruck umso größer macht.

Bei der zweiten Strategie geht es um die Deutung der Grenzverletzungen. So können die Erlebnisse zum Beispiel relativiert („Es hätte viel schlimmer sein können!“) oder idealisiert („Ich habe wirklich noch Glück gehabt“) werden. Ganz gleich welche der beiden Strategien gewählt wird, die betroffene Person spielt damit ihre eigenen Gefühle herunter, obwohl gerade in solchen Momenten viel Verständnis und Mitgefühl – von anderen, aber auch gegenüber sich selbst – notwendig ist.

Was können wir dagegen tun?

Im Vergleich zu vielen anderen Ländern ist Deutschland sehr bemüht, die Situation für die LGBT+ Community zu verbessern. So setzt sich die Bundesregierung zum Beispiel nicht nur gegen die Diskriminierung von und Gewalt gegenüber LGBT+ Personen ein, sondern setzt sich auch für die Umsetzung von gleichen Rechten für alle ein. Vor allem Aufklärung über die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist wichtig, sodass die Vorurteile und daraus resultierenden Diskriminierungen verhindert werden können. Dies ist zum Beispiel durch eine geschlechtersensible Sprache, entsprechende Unterrichtsmaterialien und Aufklärungsprojekte möglich.

Aber die Regierung kann’s nicht alleine richten. Um Diskriminierung auf der Basis von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität effektiv zu verhindern, ist es natürlich auch wichtig, dass wir alle verstehen was damit überhaupt gemeint ist. Jeder Mensch hat das Recht, über seine eigene Identität zu bestimmen und nach seiner sexuellen Orientierung zu leben. Anstatt jemanden dafür zu verurteilen, können wir es auch als Chance sehen, um etwas über andere Lebensweisen zu erfahren. Mit einer offenen und neugierigen Haltung geht es uns allen sehr viel besser.

Und wenn ihr selbst zur LGBT+ Community gehört: Vergesst niemals, dass ihr nicht alleine seid und wie wichtig es ist, seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Denn nur so können wir alle etwas daraus lernen und einer sexuell-gewaltfreien Zukunft entgegenblicken.

Falls du oder jemand aus der LGBT+ Community, den du kennst, von einer sexuellen Grenzverletzung betroffen ist oder war, findet ihr auf der Seite vom Weißer Ring einige Informationen sowie Beratungsangebote per Telefon und per E-Mail. Zusätzlich dazu gibt es noch viele lokale Beratungsstellen, an die ihr euch für Unterstützung wenden könnt (z.B. die Trans*Inter*Beratungsstelle in München oder die Rosa Strippe in Bochum).

Quelle: Pexels: Tan Danh
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"Darf ich dich küssen?" – Konsens ist sexy

Daniel, 28 Jahre

Konsens ist wichtig für alle zwischenmenschlichen Begegnungen – besonders, wenn es intim wird. Aber was bedeutet Konsens eigentlich und warum ist es so wichtig, auf Konsens zu achten?

Der Begriff Konsens und die damit verbundenen Diskussionen leiten sich zum Teil aus Debatten im englischsprachigen Raum und dem dort verwendeten Begriff „consent“ ab. Das kann mit dem deutschen Wort Zustimmung übersetzt werden. Wenn über Konsens gesprochen wird, geht es um bereitwillige Zustimmung zwischen allen Beteiligten einer Situation. Das heißt nicht, dass zwei oder mehrere Personen unterschiedliches wollen und dann zu einem Kompromiss kommen. Wenn es um das intime Miteinander geht, kann es keinen Kompromiss zwischen ‚Ich will‘ und ‚Ich will nicht‘ geben. Konsens bedeutet dann, dass alle Beteiligten wirklich Lust auf gemeinsame Nähe miteinander haben.

Bei Konsens ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten darüber austauschen, was sie möchten und was sie nicht möchten. Und dieser Konsens kann auch jederzeit widerrufen werden – denn er bedeutet nicht, dass alles okay ist, was ab dann passiert.

Nachfragen kostet nichts

Besonders wenn es um sexuelle Aktivitäten geht, sind die Beteiligten verletzlich und nicht immer können sie problemlos zustimmen oder ablehnen – zum Beispiel weil sie dem Gegenüber gefallen wollen, betrunken oder unter Drogeneinfluss oder in irgendeiner Form abhängig vom Gegenüber sind und sich dadurch nicht trauen, nein zu sagen. Das kann der Fall sein, wenn jemand nach einer Party keinen Schlafplatz hat und nicht mehr nach Hause kommt und dadurch gezwungen ist, bei jemand anderen zu übernachten. Wir sind nicht immer in der Lage, Situationen und vor allem Absichten einzuschätzen. Bedeutet „Darf ich heute bei dir schlafen?“ nur genau das oder bedeutet es eigentlich „Ich würde heute gerne bei dir schlafen – und mit dir.“?

Deswegen ist es wichtig, bei Unsicherheiten nachzufragen und sich Konsens – also Zustimmung – einzuholen und auf nonverbale Signale wie zum Beispiel Körpersprache zu achten. Es muss nicht erst ein Nein geäußert werden, um zu signalisieren, dass etwas nicht okay ist. Etwas ist erst dann okay, wenn du Zustimmung bekommst.

Trinken, bis die Hemmungen fallen

Viele Jugendlichen und auch Erwachsene trinken gerne ein, zwei oder auch drei alkoholische Getränke, um lockerer zu werden. Manche müssen sich Mut antrinken, um auf andere Menschen zugehen zu können. Das ist vollkommen okay. Aber wenn der Alkohol fließt und vielleicht auch andere Drogen im Spiel sind, ist es schwierig bis unmöglich, sich eine Zustimmung einzuholen, die auch nüchtern genau so fallen würde.

Wer kennt es nicht? Betrunkene Menschen machen Dinge, die sie am nächsten Tag bereuen. Auch wenn es nach Spaß klingt oder auf den ersten Blick harmlos wirkt, darf nicht unterschätzt werden, dass einige Menschen solche Situationen ausnutzen. Wenn jemand so betrunken ist, dass er oder sie nicht nein sagen kann, ist Schlaf das einzige, was diese Person in einem Bett zu suchen hat. Wenn er oder sie in dieser Situation zu mehr gedrängt wird, ist es ein Zwang und damit ein Übergriff. Und das ist in Deutschland strafbar.

 

 

Konsens ist sexy

Es ist ein Zeichen von Interesse und Aufmerksamkeit, wenn du dein Gegenüber fragst „Darf ich dich küssen?“. Es kann sehr romantisch auf einige Menschen wirken und kommt definitiv besser an, als ein unerwarteter und möglicherweise unerwünschter Kuss. Wie es eine Kampagne aus den USA formulierte: „Konsens ist sexy. Sex ohne Konsens ist Vergewaltigung“. Denn jede zwischenmenschliche Begegnung sollte gewollt, begehrt und erfreulich für alle Beteiligten sein. Das ist es, was ein gesundes Miteinander ausmacht. Alles andere ist uncooles und übergriffiges Verhalten.

Heißt das, dass vor jedem Kuss die ausdrückliche Frage gestellt werden muss? Nicht unbedingt, Konsens kann in allen möglichen Formen erteilt und eingeholt werden. Dafür muss aber zumindest einmal offen darüber gesprochen werden, um das zukünftige Miteinander zu planen. Das ist aber schwierig, wenn sich die beteiligten Personen noch nicht kennen. In ersten Begegnungen ist das aktive Fragen daher unumgänglich – zum Beispiel, wenn sich zwei Menschen frisch auf der Tanzfläche kennenlernen. So verhindern wir, dass körperliche Signale falsch gedeutet werden. Denn Konsens bedeutet auch, dass alle wissen, worum es geht.

Nein heißt immer nein

Wenn zu einem Zeitpunkt ein Nein fällt, dann ist dieses Nein final und darf nicht angezweifelt oder in Frage gestellt werden. Ein Nein muss dabei nicht immer verbal kommuniziert, also ausgesprochen werden. Wenn ich meine Hand auf das Bein meines Partners lege und er sein Bein wegzieht, ist es für mich ein non-verbales Signal, dass meine Hand in diesem Moment unerwünscht ist. Und das muss ich akzeptieren und verstehen. Und es ist immer okay, nein zu sagen. Wenn dein Partner oder deine Partnerin deine Bedürfnisse und dein Wohlbefinden ernst nimmt, wird er oder sie dir das nicht übel nehmen. Und wenn doch, ist das ein klares Signal, sich von dieser Person zu distanzieren. Wenn dein Gegenüber wiederholt versucht, deine Grenzen zu überschreiten, solltest du dir überlegen, ob du mit jemanden weiter Zeit verbringen möchtest, der oder die dich und deine Bedürfnisse so wenig respektiert.

Wie kann das alles jetzt praktisch aussehen?

Es ging jetzt viel um Sex und Konsens ist ein wichtiger Bestandteil von Sex. Aber Konsens geht viel weiter und darf nicht nur auf ein Nachfragen im Bett beschränkt werden. Konsens muss an den Küchentisch, auf die Schulhöfe und an den Arbeitsplatz getragen werden. Wir sollten immer und überall darüber reden, wie wir miteinander umgehen möchten.

Wenn im Sportunterricht Übungen durchgeführt werden, bei denen zum Beispiel Hände gehalten werden müssen, ist es auch da wichtig zu fragen, ob das okay ist. Konsens muss also zu einer Routine werden, die wir in unser alltägliches Leben integrieren. Denn nur so können wir sicherstellen, dass sich alle wohl fühlen. Viel zu oft nehmen wir Dinge für selbstverständlich an, die es eigentlich nicht sind.

Sicherlich kannst auch du dich an eine Situation erinnern, wo du lieber nach deiner Meinung gefragt worden wärst. Durch einen ausdrücklichen Konsens können solche Situationen verhindert werden. Er muss dabei aus der Zustimmung aller Beteiligten bestehen, freiwillig erteilt worden sein und alle müssen zurechnungsfähig und informiert sein. Außerdem darf Konsens jederzeit widerrufen werden. Ein „Vielleicht“ oder „Ich bin mir nicht sicher“ ist kein Konsens. Wenn auf Fragen wie „Ist … für dich okay?“ mit einem klaren Ja geantwortet wird, erst dann gibt es einen Konsens.

Da ist was schiefgegangen mit dem Konsens? Dann musst du das nicht mit dir selbst ausmachen!

Immer noch geschieht es viel zu häufig, dass Interaktionen unkonsensual ablaufen – also ohne beiderseitige Zustimmung. Die Person, die unangenehme bis übergriffige Situationen erfährt, trägt nicht die Schuld. Sondern die Person, die es versäumt hat, nachzufragen. Darum ist es wichtig, sich mit Freund*innen aber auch Lehrer*innen und Eltern über solche Themen auszutauschen.

Manchmal fällt es einem aber auch leichter, solche Themen mit Außenstehenden zu besprechen. Solltest du in eine übergriffige Situation geraten sein oder jemanden kennen, der oder die eine übergriffige Situation erlebt hat, dann kannst du oder dein*e Freund*in sich anonym und kostenfrei zum Beispiel an save me online oder verschiedene Hilfetelefone wenden.

 

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Ich habe ein Foto für dich

Daniel, 28 Jahre

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Grenzverletzungen online

Quelle: privat

Gesine, 25 Jahre

„Ihr Vollidioten, das ist nicht witzig!“

Missbrauch von Sexting-Bildern oder sexuelle Belästigung im Netz – auch das sind eindeutig Grenzverletzung, die sich niemand gefallen lassen muss. Wir haben dazu mit Julia von Weiler, Psychologin und Vorsitzende des Innocence in Danger e.V., gesprochen.

Quelle: IIDJulia von Weiler

Für Deutschland gehen wir davon aus, dass ungefähr jeder zweite Mensch ab 18 Jahren sextet, das sieht bei Jugendlichen nicht so anders aus. Die digitale Kommunikation über WhatsApp oder Instagram oder Onlinespiele gehören zu unserem Leben. Es ist es nicht verwunderlich, dass wir dort auch sexuelle Inhalte austauschen. Zum einen nutzen das Männer und Frauen, beziehungsweise Mädchen und Jungen, um mit ihren Partner*innen in Kontakt zu bleiben und, etwa wenn sie getrennt voneinander sind, sexuell miteinander umzugehen. Zum anderen nutzen es Mädchen und Jungen oder Erwachsene, um sich auszuprobieren. Sexting ist auf der einen Seite der sicherste Sex, den man haben kann, denn man kann nicht schwanger werden oder sexuell übertragbare Krankheiten bekommen. Trotzdem ist Sexting mit einem gewaltigen Risiko verbunden. Denn sobald ich einen Text, ein Bild oder einen Film digital verschicke, verliere ich darüber die Kontrolle.

Die Grenze zur sexuellen Gewalt wird da überschritten, wo ich mit diesen intimen Inhalten meines*meiner Freund*in oder von anderen Menschen nicht gut umgehe und sie beispielsweise Dritten zur Verfügung stelle oder die Person damit erpresse.

Bilder oder andere intime Bekenntnisse zu verschicken, hängt natürlich davon ab, wie sehr ich meinem Gegenüber vertraue. Eine hundertprozentige Sicherheit, nicht enttäuscht zu werden, gibt es aber weder analog noch digital. Gleichzeitig ist interessant, wen wir zu einem vorsichtigen Umgang auffordern. Meistens die potentiellen Opfer, nach dem Motto: „Nein, tu das nicht“ oder „Du bist ein unnötiges Risiko eingegangen und selbst schuld, wenn was schiefläuft.“ Gegen die öffentliche Verbreitung meiner Bilder kann ich nichts tun, außer, sie gar nicht erst zu verschicken. Aber was sagen wir den Idiot*innen, die diese Bilder verbreiten? Unter den ursprünglich gesendeten Bildern steht sicher nicht: „Bitte schick das an alle deine Kontakte“. Jeder*r, der*die intimen Bilder von anderen weiterverbreitet, macht sich an diesen Menschen schuldig und muss zur Verantwortung gezogen werden.

Wenn ich sie selbst erhalte, dann sage ich dem*der Absender*in, dass das nicht geht und dass er oder sie die Bilder nicht weiterverbreiten soll. Ich kann eine Strafanzeige erstatten, denn das unerlaubte Verbreiten ist strafbar. Wenn ich die Person im Bild kenne, informiere ich sie, damit sie selbst aktiv werden kann. Wenn ich in meiner Klasse oder in meinem Freundeskreis davon höre, ist es wichtig, eine klare Haltung einzunehmen und zu sagen: „Ey, ihr Vollidioten, das ist nicht witzig, ihr macht euch damit nicht beliebt, sondern begeht eine Straftat und benutzt andere dafür, euch mächtig zu fühlen. Das ist armselig!“ Ich setze mich für das Opfer ein und gebe ihr oder ihm nicht die Schuld. Auch als junger Mensch bin ich dazu in der Lage! Wenn man selbst Bilder weitergeleitet hat, ist es wichtig, diesen Fehler öffentlich anzuerkennen und sich zu entschuldigen. Und natürlich die Bilder zu löschen und alle, an die man die Bilder verschickt hat, aufzufordern das auch zu tun.

Das hat unterschiedliche Gründe. Manche sind achtlos und machen sich über die Konsequenzen keine Gedanken. Andere verstehen, dass sie so jemanden demütigen können. Wieder andere nutzen das, um gezielt Leute herabzuwürdigen.

Ja, etwa das unerwünschte Zusenden von intimen Bildern, etwa Dickpics, englisch für Penisbilder, oder von Masturbationsvideos. Vor allem Mädchen werden solche Dinge geschickt. Eine andere Form ist die verbale sexuelle Herabwürdigung oder das Kommentieren von Bildern in sozialen Medien. Also wenn Leute beispielsweise unter einem Selfie Sprüche über Busen, Po, Beine etc. oder bei Jungen die geschätzte Penisgröße oder ähnliches kommentieren. Die verbale Androhung sexueller Gewalt oder Vergewaltigung ist auch eine Form digitaler Belästigung, sowas wie „du gehörst mal ordentlich durchgefickt“. Frauen und Mädchen erleben so etwas oft, zum Beispiel in Onlinespielen. Das führt dazu, dass viele Mädchen bei Onlinespielen nicht angeben, dass sie Mädchen sind. Diese Gewalt drängt sie also förmlich aus bestimmten Räumen.

Ja, denn Jugendliche haben mehr Einfluss auf das soziale Umfeld. An die Herabwürdigung durch sexuelle Belästigung in sozialen Medien schließen sich häufig viele an und das Opfer bleibt allein. Wenn der*die Täter*in die gesamte Klasse oder Freundesgruppe gegen das Opfer hinter sich bringt, dann hat er oder sie die ultimative Macht. Daher ist es wichtig, sich früh auf die Seite der Opfer zu stellen.

Wer auf dem Schulhof belästigt, tut das meist auch online. Wer darüber fantasiert und sich auf dem Schulhof nicht traut, traut sich durchaus online, denn so muss er*sie den Opfern nicht ins Gesicht sehen. Die Motivation ist immer die gleiche, nämlich sich stark und dominant fühlen zu wollen. Dafür wird das Opfer klein gemacht.

Im Leben von sexuell gewalttätigen Jungen und Mädchen hat Gewalt oft früh eine Rolle gespielt, nicht nur sexuelle Gewalt. Um sich wieder stark zu fühlen, nehmen diese Kinder nun die dominante Rolle ein – also die des*der Täter*in. Eine andere Erklärung ist, dass sie unsicher sind und andere erniedrigen, um die eigene Unsicherheit nicht zu spüren.

Digitale sexuelle Belästigung kann genauso schwere Folgen haben wie analoge. Die Folgen hängen von vielen Faktoren ab, wie der Länge und Dauer der Gewalt, dem Rückhalt durch Familie und Freund*innen und so weiter. Das Umfeld spielt eine große Rolle. Bei digitaler Gewalt ist vor allem die Ohnmacht schwer auszuhalten, da ich nie sicher sein kann, ob die Bilder nicht irgendwo existieren und wieder auftauchen und wer sie alles gesehen hat. Ungewollt verbreitete Bilder werden meistens mit dem Klarnamen veröffentlicht. Das Opfer ist über diese Bilder also identifizierbar.

Betroffene Mädchen werden so oft von gleichaltrigen Mädchen behandelt. Ein Beispiel: Zwei Freundinnen flirten online. Eine von ihnen hat in einem Flirt ein intimes Bild von sich verschickt und es wurde unerlaubt weitergeleitet. Für die andere ist es einfacher, unbewusst anzunehmen: „Ach, die ist doch sowieso eine Schlampe, kein Wunder, dass ihr das passiert ist.“ Dann muss sie sich ihr eigenes Risiko nicht eingestehen. Würde sie bemerken, dass sie sich gleich verhält, müsste sie sich eingestehen, dass ihr das genauso passieren kann. Die Beschuldigung der Freundin ist also eine unbewusste Verleugnung ihres eigenen Risikos. Dadurch fallen bei digitaler sexueller Gewalt Freund*innen als Stütze für die Betroffenen oft weg, obwohl sie so wichtig sind. Außerdem ist die Herabwürdigung von Frauen und Mädchen nach wie vor Alltag, obwohl wir uns als Gesellschaft das Gegenteil einreden.

Ihr seid von sexuellen Grenzverletzungen im Internet betroffen? So könnt ihr reagieren:

Wer intime Bilder und Videos von anderen verschickt, macht sich strafbar. Wer das Bild gemacht hat, hat das Urheberrecht am Bild – der*die Verfasser*in bestimmt also, was damit geschieht. Wenn jemand anderes ein Foto oder Video von euch gemacht hat, habt ihr trotzdem immer das Recht an eurem eigenen Bild und dürft entscheiden, ob und wie es veröffentlicht wird. Werden die Bilder auf Plattformen wie Instagram hochgeladen, könnt ihr den Betreiber*innen schreiben, damit sie die Bilder entfernen.

Sich juristische Hilfe zu holen, ist für eine Anzeige oder den Kontakt zu Betreiber*innen sinnvoll. Um rechtliche Schritte abzuklären und zu erfahren, wo ihr in eurer Umgebung Hilfe bekommt, könnt ihr euch zum Beispiel auch an save-me-online.de wenden. Hier bekommt man auch Hinweise für ein Gespräch mit den Eltern. Auch wenn es peinlich ist – mit denen solltet ihr reden. Denn Anzeige zu erstatten, ist als Minderjährige*r nur in Ausnahmefällen ohne elterliche Hilfe möglich.

 

 

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